Erstens:
Es ist lobenswert, dass sich ein Muslim um die Vorschriften der islamischen Gesetzgebung bemüht, selbst in den kleinsten Details. Noch wichtiger als dieses Bemühen ist es jedoch, das Umsetzen jener Urteile, die man gelernt hat. Im Bereich der „Kunya” gibt es einige Angelegenheiten, die einer Klarstellung bedürfen. Die Antwort auf die spezifische Frage wird am Ende mit weiteren Details gegeben:
- Die Kunya ist jede Anrede, die mit „Abu" (deut. Vater von) oder „Umm" (deut. Mutter von) beginnt, im Gegensatz zu einem normalen Namen oder einem Beinamen.
- Eine Kunya gilt als lobenswert und ehrend für eine Person, im Gegensatz zu einem Beinamen, der sowohl lobend als auch abwertend sein kann.
- Auch einem Frevler, Ungläubigen oder Anhänger einer Neuerung kann eine Kunya gegeben werden, wenn sie nur unter diesem Namen bekannt sind, dies einem Nutzen dient oder ihre eigentlichen Namen gegen die islamische Gesetzgebung verstoßen.
Allah - erhaben ist Er - sagte: „Zugrunde gehen sollen die Hände Abu Lahabs, und zugrunde gehen soll er (selbst)!” (Al-Masad:1)
An-Nawawi - möge Allah ihm barmherzig sein - sagte: „Kapitel über die Erlaubnis, einem Ungläubigen, einem Anhänger einer Neuerung oder einem Frevler eine Kunya zu geben, wenn (diese Person) nur unter diesem (Namen) bekannt ist oder wenn man befürchtet, die Erwähnung ihres (eigentlichen) Namens könnte zu einer Zwietracht (arab. Fitna) führen. Allah - erhaben ist Er - sagte: „Zugrunde gehen sollen die Hände Abu Lahabs (...)!” (Al-Masad:1). Sein eigentlicher Name war Abd Al-Uzza. Es wurde gesagt, dass er mit seiner Kunya genannt wurde, weil er unter ihr bekannt war. Es wurde auch gesagt, dies geschah aus Abscheu vor seinem Namen, da er durch sie zum Diener einer Götzen (d.h. Uzza) gemacht wurde.
Ich (An-Nawawi, möge Allah ihm barmherzig sein) sage: In den Überlieferungen wird Abu Talib, dessen eigentlicher Name Abdu Manaf war, wiederholt mit seiner Kunya erwähnt. Im authentischen Hadith heißt es: „Dies ist das Grab von Abu Righal” und es gibt viele weitere Beispiele. All dies gilt jedoch unter der Bedingung, die wir in der Überschrift erwähnt haben. Ist diese (Bedingung) nicht erfüllt, wird dem Namen nichts hinzugefügt.” Ende des Zitats, entnommen aus: „Al-Adhkar” (S. 296).
- Es ist nicht erforderlich, dass eine Kunya sich auf die Namen von Kindern bezieht; sie kann sich auch auf unbelebte Dinge oder Tiere beziehen.
Ein Beispiel für unbelebte Dinge: Die Kunya „Abu Turab“ (Vater des Staubes).
Ein Beispiel für Tiere: Die Kunya „Abu Hir“ oder „Abu Huraira“ (Vater des Kätzchens).
- Es ist nicht notwendig, dass eine Kunya, die einen Namen enthält, sich auf eines der Kinder der Person bezieht, die diese Kunya trägt.
Ein Beispiel dafür ist „Abu Bakr As-Siddiq“. Keines seiner Kinder trug den Namen „Bakr“.
- Es ist nicht erforderlich, dass die Kunya sich auf das älteste Kind der Person bezieht, auch wenn dies vorzuziehen wäre.
Von Hani wird berichtet, dass er, als er mit seinem Stamm zum Gesandten Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm - kam, hörte, wie sie ihn (Hani) mit der Kunya „Abu Al-Hakam“ (Vater der Weisheit) ansprachen. Der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm - rief ihn daraufhin und sagte: „Wahrlich, Allah ist der Allweise, und Ihm gehört das Urteil. Warum trägst du die Kunya ‚Abu Al-Hakam‘?“ Hani antwortete: „Wenn mein Volk über etwas uneins ist, kommen sie zu mir, und ich urteile zwischen ihnen, und beide Parteien sind zufrieden mit meinem Urteil.“ Daraufhin sagte der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm: „Das ist eine lobenswerte Eigenschaft. Hast du Kinder?“ Er sagte: „Ich habe Shuraih, Muslim und Abdullah.“ Er sagte: „Wer von ihnen ist der Älteste?“ Er (Hani) antwortete: „Shuraih.“ Er (der Prophet - Allahs Segen und Frieden auf ihm -) sagte: „Dann bist du Abu Shuraih.“” Überliefert von Abu Dawud (4955) und An-Nasai (5387), und von Al-Albani in „Sahih Abi Dawud“ als authentisch eingestuft.
Die Gelehrten des Ständigen Komitees wurden gefragt: „Ist es erlaubt, jemanden nach seinem jüngeren Sohn zu benennen, wenn der ältere Sohn im Kindesalter verstorben ist?”
Sie antworteten: „Es ist vorzuziehen, dass eine Person hinsichtlich der Kunya nach ihrem ältesten Sohn benannt wird, unabhängig davon, ob dieser lebt oder verstorben ist, und dass sie mit dieser Kunya angesprochen wird. Wenn jedoch jemand nach seinem jüngeren Sohn benannt wird und mit dieser Kunya angesprochen wird, so gibt es daran nichts Verwerfliches, egal ob der ältere Sohn lebt oder verstorben ist.
Und von Allah kommt der Erfolg. Möge Allah unseren Propheten Muhammad, seine Familie und seine Gefährten segnen.“ Ende des Zitats.
Ash-Shaikh Abdulaziz ibn Baz, Ash-Shaikh Abdu Ar-Razzaq Afifi und Ash-Shaikh Abdullah ibn Qu’ud - „Fatawa Al-Lajna Ad-Daimah” (11/487).
- Es gibt keinen Einwand dagegen, dass die Kunya auch den weiblichen Kindern der Person zugeordnet wird.
An-Nawawi - möge Allah ihm barmherzig sein - sagte: „‘Kapitel über die Erlaubnis, dass der Mann mit der Kunya „Abu Fulanah“ und „Abu Fulan“ und die Frau mit der Kunya „Umm Fulan“ und „Umm Fulanah“ bezeichnet werden darf.’ - Wisse, dass hierin nichts verwerflich ist, und viele vorzügliche Gruppen der (rechtschaffenen) Vorfahren (arab. Salaf) der (islamischen) Umma, (darunter) Gefährten und (ihrer) Nachfolger die Kunya „Abu Fulanah“ hatten. Hierzu zählt (zum Beispiel) Uthman ibn Affan - möge Allah mit ihm zufrieden sein -, der drei Kunya-Namen: Abu Amr, Abu Abdullah und Abu Laila. Ebenso Abu Ad-Darda und seine Frau Umm Umm Ad-Darda Al-Kubra…“ Ende des Zitats, entnommen aus: „Al-Adhkar” (S. 296).
- Der Mann und die Frau teilen sich die zuvor genannten Urteile (d.h. sie gelten für beide).
- Es kann sein, dass die Person, die eine Kunya trägt, keine eigenen Kinder hat, aber dies hindert nicht daran, ihr eine Kunya zu geben.
Über A'ishah wird berichtet, dass sie sagte: „O Gesandter Allahs, alle meine Freundinnen haben eine Kunya, nur ich nicht.“ Er antwortete: „Nimm die Kunya nach deinem Sohn Abdullah ibn Az-Zubair.“ Und so wurde sie „Umm Abdullah“ genannt, bis sie starb. Überliefert von Ahmad (43/291) und von den Herausgebern (arab. Muhaqqiq) des Musnad als authentisch eingestuft, ebenso von Al-Albani in „Silsilah As-Sahihah“ (132).
- Es ist möglich, dass ein Mann oder eine Frau eine Kunya nach der Heirat tragen, noch bevor sie Kinder bekommen haben, und es gibt keinen Einwand dagegen.
- A) Über Abdullah ibn Mas'ud - möge Allah mit ihm zufrieden sein - wird berichtet, dass der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm - ihm die Kunya „Abu Abdu Ar-Rahman“ (Vater von Abdu Ar-Rahman) gab, obwohl ihm zu diesem Zeitpunkt noch kein Sohn geboren war.” Überliefert von Al-Hakim (3/353) und At-Tabarani in „Al-Kabir” (9/65), und von Ibn Hajar in „Fath Al-Bari” (10/582) als authentisch eingestuft.
- B) Al-Bukhari überlieferte in „Al-Adab Al-Mufrad” unter dem Kapitel „Die Kunya bevor ein Kind geboren wird“, dass Ibrahim an-Nakha'i berichtete, dass Abdullah ibn Mas'ud die Kunya „Abu Shibl“ (Vater von Shibl) für Alqama vergab, obwohl er zu diesem Zeitpunkt noch kein Kind hatte. Und von Shaikh Al-Albani als authentisch eingestuft in „Sahih Al-Adab Al-Mufrad” (848).
- Es gibt keinen Einwand dagegen, ein kleines Kind zu benennen, auch vor dem Abstillen oder unmittelbar nach der Geburt, unabhängig davon, ob es ein Junge oder ein Mädchen ist.
Die Gelehrten haben zahlreiche Vorteile der Kunya für kleine Kinder erwähnt, darunter: Die Stärkung seiner Persönlichkeit, das Verhindern von schlechten Bezeichnungen und auch die Hoffnung, dass das Kind lange leben wird, bis es eigene Kinder bekommt.
Die Kunya für kleine Kinder ist in der authentischen Sunnah über den Propheten - Allahs Segen und Frieden auf ihm - belegt.
Über Anas ibn Malik - möge Allah mit ihm zufrieden sein - wird berichtet, dass er sagte: „Der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm - war der beste der Menschen im Charakter. Ich hatte einen Bruder, der „Abu Umayr“ genannt wurde - ich glaube, er war abgestillt. Wenn der Gesandte Allahs - Allahs Segen und Frieden auf ihm - erschien und ihm sah, sagte er: „Abu Umayr, was hat Nughayr gemacht?“ Er spielte mit ihm. Überliefert von Al-Bukhari (5850) und Muslim (2150).
An-Nughayr ist ein kleiner Vogel, der dem Spatzen ähnelt, und es wurde auch gesagt, dass es sich um eine Nachtigall handelt.
Al-Bukhari führte diesen Hadith im Kapitel (mit der Überschrift): „Kapitel über die Kunya für ein Kind, bevor ein Kind für einen Mann geboren wird“ an.
An-Nawawi - möge Allah ihm barmherzig sein - sagte: „In diesem Hadith gibt es sehr viele Nutzen, darunter: Die Erlaubnis, einer Person, die noch keine Kinder hat, eine Kunya zu geben, (sowie die Erlaubnis), ein Kind mit einer Kunya anzusprechen; was nicht als Lüge gilt.“ Ende des Zitats, entnommen aus: „Sharh Muslim” (14/129).
In „Al-Mausu‘ah Al-Fiqhiyyah„ (35/170, 171) heißt es: „Die Gelehrten sagten: Man gab dem Kind eine Kunya aus Hoffnung, dass es lange leben würde, bis es eigene Kinder bekommt, und um unangemessenen Spitznamen vorzubeugen.
Ibn Abidin sagte: ‚Wenn jemand seinem kleinen Sohn eine Kunya wie „Abu Bakr“ gibt, sehen es einige als verpönt (arab. makruh) an, aber die Mehrheit sieht dies nicht als verpönt an, da die Menschen es als (eine Form) des positiven Ausblicks und Hoffnung betrachten.‘“ Ende des Zitats.
Dies legt die Antwort auf die Frage eindeutig dar: Es ist erlaubt, kleine Kinder, sogar Säuglinge, mit passenden Kunyas zu benennen, unabhängig davon, ob es sich um Jungen oder Mädchen handelt. Selbst wenn es sich um die Kunyas einiger der Gefährten und Gefährtinnen des Propheten handelt, ist es eine gute Praxis, die nicht zu beanstanden ist.
Und Allah weiß es am besten.